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Digitale Stabsstellen

Superhelden der Digitalisierung?

Zahlreiche Darstellungen vermitteln den Eindruck, ein Chief Digital Officer (CDO) sei mit Superkräften und -fähigkeiten ausgestattet. Sie listen gleich dutzende von Voraussetzungen und Eigenschaften als Anforderungs- oder Skill Profil auf: Sie oder er sei Stratege und Hands-on Manager, kommunikationsstark und IT-Nerd, denke unternehmerisch, aber auch in digitalen Strukturen, verfüge über Führungsstärke und sei doch ein exzellenter Teamplayer, handle visionär und kenne aber jeden analogen Prozess wie die eigene Westentasche etc.

Wie kommt es zu so einer Fiktion, die von Blogbeiträgen, Digitalisierungsexperten und Stellenbeschreibungen gespeist wird? Ist Digitalisierung eine Herkulesaufgabe, die nur von Superhelden gelöst werden kann? Dient das Image eines Super-CDO vielleicht nur als Entschuldigung des bisherigen Managements für versäumte, kleinere Schritte in Richtung digitaler Transformation?

Wie dem auch sei – zumindest in einem Punkt scheinen die Darstellungen einander gleichlautend. Denn wann immer es um Digitalisierung geht, wird der Ruf nach einer zentral-koordinierenden Hand laut. Das hat gute, verständliche Gründe: in allen analogen Organisationformen existieren typischer Weise inkompatible Insellösungen, Datenpools oder Software, die alleine auf ein Ressort oder eine Abteilung zugeschnitten sind. Der Anspruch, solche Insellösungen aufzubrechen, kann und sollte allein schon ausreichend Grund für eine digitale Stabsstelle sein, auch wenn diese nicht mit Superhelden besetzt werden muss.

Zentrale Koordination

Eine Hauptaufgabe bei Druchführung der digitalen Transformation einer Organisation wird es sein, vorhandene Daten zusammenzuführen, Wissen darüber zu teilen und unter Hinzuziehung weiterer Beteiligter wie innovativer Technologien zu vermehren. Das berührt in der Regel alle Organisationsbereiche, zentrale Softwaresysteme und alle abteilungsinternen Datenpools sowie spezielle Software-Lösungen.

Je deutlicher hierarchisch und isoliert Abteilungen geführt werden, um so größer wird der Widerstand sein, Datenpools anderen Abteilungen oder übergeordneten Stellen zugänglich zu machen. Ganz zu schweigen davon, eine bisher funktionierende Insellösung aufzugeben. Die Ablehnung stützt sich mal auf Gewohnheit und Prinzip, mal auf Furcht vor Kontrolle oder Infragestellung von Tätigkeit, fast immer aber auf den Umstand, dass es sich um abteilungskritische Daten und Prozesse handelt, die nicht gestört werden dürfen.

Wer solche Organisationen in ein digitales Zeitalter überführen möchte, wird daher zunächst beginnen, diese isolierten Datenspeicher aufzulösen und „physisch“ in einem Datawarehouse oder einer Cloudlösung zusammenführen. Damit lassen sich erste Quick-Wins erzielen und die vorhandenen Daten mit Algorithmen anreichern, in Beziehung zueinander setzen oder aus übergreifender Perspektive besser auswerten. Berichte in Echtzeit sind damit aber nicht möglich. Ebenso bleiben redundante Arbeiten in den Abteilungen weiter bestehen. Irgendwann wird die Auseinandersetzung über die Insellösungen nicht mehr zu vermeiden sein. Gerade hier zeigt sich die Stärke einer zentralen Koordination der Digitalisierung und die entsprechende Unterstützung seitens der Unternehmensfürung bzw. Organisationsleitung:

Ein wesentlicher Befund ist zudem, dass die Erfahrung als aktiver Change-Manager wesentlich ist, um digitale Transformation erfolgreich steuern zu können. Schließlich legen die Untersuchungsergebnisse nahe, dass die Position des CDO idealerweise im Top-Management, jedenfalls aber in direkter Berichtslinie zum Chief Executive Officer (CEO) angesiedelt sein sollte, um volle Handlungseffektivität entfalten zu können.

Walchshofer, Manuela; Riedl, René (2017): Der Chief Digital Officer (CDO): Eine empirische Untersuchung. In: HMD 54 (3), S. 324–337. DOI: 10.1365/s40702-017-0320-7

FIT ZUR EIGNEN ORGANISATION

Ob eine digitale Stabsstelle (mit welchem Titel auch immer verbunden) vorübergehend oder dauerhaft sinnvoll ist, hängt letztendlich von der Organisation ab, in die sie eingebettet ist. Sie kann kurzfristig einen Innovationsschub liefern oder langfristig eingebunden werden, wenn Digitalisierung in einen kontinuierlichen Innovationsansatz überführt wird. Letzterer baut auf dem Gedanken auf, dass digitale Worksflows einer steten Optimierung unterliegen und immer wieder ressortübergreifend verbessert werden müssen. Auch die Einbindung von Partnern, Dienstleistern und Kunden ist in digitalen Prozessen vielfältigen Notwendigkeiten zur Aktualisierung ausgesetzt, die eine kontinuierliche Stabsstelle rechtfertigen.

Dass es nach einem Innovationsschub auch wieder ohne zentrale Koordination weiter gehen kann, beweist die als ethnographische Feldstudie aufgebaute Untersuchung eines dänischen Unternehmens der Finanzbranche. Dieses Unternehmen hatte einen IT-Spezialisiten für die Leitung des digitalen Transformationsprozesses angestellt, sich dann aber im Zeitraum eines halben Jahres wieder von ihm getrennt. Statt den völligen Zusammenbruch der ersten gestarteten Digitalisierungsprojekte zu erleben, trat das Gegenteil ein. Die ethnographische Fallstudie konnte das Entstehen eines distributed leadership erkennen, in dem das gesamte Managementteam je im eigenen Verantwortungsbereich die Aufgaben der Digitalisierung selbstständig umzusetzen begann:

Whereas existing literature has tended to describe digital transformational as a rational and strategic process with clear roles, the most important one being a chief digital officer, this case of digital transformation cannot be described in the same terms. Nor it is case of managers’ individual actions. Instead, this study has testified to an emergent process of conjoint leadership through intuitive engagement. Without explicitly coordinating their activities, the top managers mobilized the change towards digital transformation from their own respective perspectives. The top managers were not “in sync” as suggested by some streams of distributed leadership. They all mobilized from their own point of view. However because they all engaged actively in the process, the leadership happed conjoint, and the result was a holistic approach to managing digital transformation. Conceptually, we suggest the notion of digital transformation as distributed leadership, and argue that a shared responsibility within a top management team might supersede appointing a chief digital officer in some types of organizations.

Lorentzen, Anne-Christine Rosfeldt (2022): Digital transformation as distributed leadership: Firing the change agent. In: Procedia Computer Science 196, S. 245–254. DOI: 10.1016/j.procs.2021.12.011 .

Die Entscheidung über eine digitale Stabsstelle oder andere Oganisationsformen der digitalen Transformation ist also im Wesentlichen eine Frage der bestehenden Unternehmenskultur.

Schmid, Oliver (2021): Rolle des Chief Digital Officer (CDO) im Rahmen der digitalen Transformation von Unternehmen : Theoretische Fundierung und empirische Untersuchung. 2021: Wiesbaden : Springer Fachmedien

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